Das Schriftmuseum Bartlhaus in Pettenbach in Oberösterreich ist das einzige Schriftmuseum Österreichs. Es widmet sich in wechselnden Ausstellungen zeitgenössischer Kalligrafie und skripturaler Kunst, sowie ihren wechselseitigen Überschneidungen. In diesem Jahr ist das Bartlhaus Projektpartner der Europäischen Kulturhauptstadt Bad-Ischl Salzkammergut 2024. Aus diesem Anlass zeigt es von Mai bis Oktober vier renommierte Positionen internationaler zeitgenössischer Kalligrafie. Aufbauend auf einem Leitthema der Kulturhauptstadt, der Tradition, sucht die Ausstellung kalligrafische Ausdrucksformen, die auf der langen Tradition der Kunst des schönen Schreibens basieren, diese jedoch auf sehr individuelle Art und Weise überschreiten und weiterentwickeln.
Marina Soria Signs 114x57,5 cm
Marina Soria aus Argentinien gestaltet Kalligrafien, die sich in Farbigkeit und Textur an historischen Textilien aus Südamerika orientieren. Sie wird diese gemeinsam mit den traditionellen Webarbeiten ausstellen. Die Künstlerin ist besonders fasziniert von antiken Textilien aus den Anden. Diese stehen in Zusammenhang mit den Schöpfungsmythen der vorspanischen Kulturen, vermitteln Bedeutungen und erzählen Geschichten vergleichbar einer Sprache. Weitere Parallelen zwischen dem Schreiben und dem Weben liegen für die Künstlerin in der Kombination von Strichen und Buchstaben, die sie auf dem Papier verwebt, sowie in dem gemeinsamen Wunsch, eine ideale und absolute Ordnung zu finden. Sowohl das Schreiben als auch das Weben empfindet sie als weibliche Disziplinen, in deren Verfeinerung eine große innere Kraft liegt und deren langsame Herstellung gemeinsam mit dem Willen zur Perfektion, der Konzentration und dem ästhetischen Anspruch sowohl den Ausführenden als auch den Betrachtenden besonderes Vergnügen bereiten.
Izzy Pludwinski aus Israel zeigt Kalligrafien, die sich aus der Tradition der hebräischen Kalligrafie speisen und diese mit einem zeitgenössischen Blick kombinieren. Er legt seinen Fokus in dieser Präsentation auf den Inhalt seiner Arbeiten. Diese reflektieren, oft mit den traditionellen Worten aus den heiligen Schriften des Judentums, menschliche Fragestellungen, die auch in der Gegenwart äußerst relevant sind. Die Titel seiner Arbeiten liefern oft Gegensatzpaare, bestehend aus einer starken Emotion und einem Begriff, der dazu in einem dynamischen Verhältnis steht. Die visuelle Umsetzung spiegelt dieses Spannungsverhältnis wider und kombiniert in manchen Arbeiten gestische Pinselkalligrafie mit digitalen Kompositionen. Auch der Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus, von dem auch die Familie Pludwinski direkt betroffen war, ist immer wieder Thema seiner Arbeiten. Der Künstler verbindet sie mit der eindringlichen Frage nach Gottes Verheißung des Lebens für die Gerechten im Angesicht des Todes so vieler Gerechter im Holocaust.
Brody Neuenschwander Unreliable Document left side 105x75cm
Wissam Shawkat aus dem Irak, der heute in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt, zeigt Arbeiten aus seiner Serie Calligraforms. Diese Bezeichnung bezieht sich auf die Betonung der formalen Kriterien seiner Kalligrafien. Er gestaltet Werke mit traditionellen arabischen Schriftzeichen, die er anschließend als Collagen zu völlig neuen Formen zusammensetzt. Dadurch entsteht ein eigenständiges Formvokabular, das an Schriftzeichen erinnert, diese jedoch durch die Schnittstellen und neuen Zusammensetzungen immer wieder bricht. Shawkat befreit die Schriftzeichen von ihrer inhaltlichen Funktion und konzentriert sich auf die grafischen Qualitäten, Rhythmus und Form. Er abstrahiert die ursprünglich organischen arabischen Zeichen in Anlehnung an die künstlerischen Tendenzen der klassischen Moderne und inspiriert von den Arbeiten des amerikanischen Collage-Künstlers Cecil Touchon. Dadurch erzielt er völlig neue geometrische Formationen, die er spannungsreich auf der Bildfläche anordnet. Der Künstler spielt mit den inneren und äußeren Räumen der präzise gestalteten Schriftzeichen, ihren Gestalten und den durch sie umschlossenen Leerräumen.
Der gebürtige Amerikaner Brody Neuenschwander, der seit vielen Jahren in Belgien lebt, fordert das Medium der Kalligrafie auf mehreren Ebenen heraus und nähert sich dabei der skripturalen und der Konzeptkunst. Er setzt keine bestehenden Texte um, sondern schreibt in einem freien, assoziativen Prozess Worte, Gedichte und Texte, die auf aktuelle gesellschaftliche Themen Bezug nehmen. Dazu kombiniert er seine Kalligrafien mit Malerei, Typographie und integriert historische Schriften und Drucke in Form von Collagen. In einem vielschichtigen Prozess löscht er Geschriebenes wieder aus, überklebt Textzeilen und stanzt Buchstaben teilweise in serieller Technik in seine großformatigen Werke. Er spielt mit unterschiedlichen Materialien, gefundenen Objekten und Techniken, kombiniert sie auf ungewöhnliche Art und Weise und erzielt dadurch völlig unerwartete Ergebnisse. Wenn er die Seiten eines alten Buches in horizontale Streifen schneidet, wirken die fragmentierten Buchstaben wie chinesische Schriftzeichen. Durch seinen unkonventionellen und kreativen Zugang, eröffnet Neuenschwander völlig neue Sichtweisen auf die Kunst der Kalligrafie.
Diese besonderen Ausstellungen im Jahr 2024 konnten mit Unterstützung der Europäischen Kulturhauptstadt 2024 Bad-Ischl Salzkammergut realisiert werden. Das Bartlhaus freut sich, Projektpartner dieser großen Kulturinitiative zu sein. Neben den oben beschriebenen Kalligrafie-Ausstellungen zeigen wir in diesem Jahr auch eine besondere Präsentation von Exlibris zeitgenössischer österreichischer Künstler:innen, die eigens für diese Ausstellung entstanden sind. Seit Jahresbeginn 2024 läuft außerdem ein partizipatives Mail Art Projekt, in dem Menschen weltweit eingeladen sind, Mail Art, Kunst, die mit der Post geschickt wird, an das Bartlhaus zu senden. Alle Zusendungen werden dort im Rahmen einer Ausstellung gezeigt. Im Ausstellungsraum haben Besuchende die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden und mit Hilfe von Stempeln, Collagen, Schrift und Zeichnungen ebenfalls Mail Art Sendungen zu gestalten. Sie können diese an sich selbst, Personen aus ihrem Umfeld oder die Absender der ausgestellten Mail Art als Antwort schicken. Mit dieser Aktion beteiligt sich das Schriftmuseum Bartlhaus an dem weltweiten Mail Art Netzwerk. Unter dem Titel „Das Museum als offenes Labor“ sind Studierende der Universität für Angewandte Kunst in Wien eingeladen, im Sommersemester 2024 einen Raum der Dauerausstellung über den Museumsgründer Leopold Feichtinger zu überarbeiten und gemeinsam mit dem Künstler:innen Duo Nicole Six und Paul Petrisch als Gestalter neu aufzustellen.
Die Eröffnung der Ausstellungen erfolgt am 27. April 2024 um 14 Uhr, Ausstellungsdauer bis 27. Oktober 2024.
Alle Infos finden Sie unter www.schriftmuseum.at.